Rudolf Kahlfeld: Stellungnahme (Bewertungskriterien für Sachakten)
1. Das Schema von Max Plassmann macht keine Rückkopplungen deutlich.
Das Schema gibt folgenden Automatismus vor:
- Prüfung formaler und äußerlicher Kriterien
dann
- inhaltlicher Negativkatalog (de facto Frage der Federführung)
dann
- inhaltlicher Positivkatalog.
Dies ergibt sich u.a. aus den jeweils rechts bei den "Kriterienaufzählungen" angesiedelten gestrichelten Pfeilen, die unmittelbar und ohne Vernetzung zum Feld "Kassation" laufen.
Logische Folge: Veto gegen das Schema
2. Das Schema von Max Plassmann lässt nur bedingt eine Abwägung zu.
Die Erläuterungen zu den formalen und äußerlichen Kriterien sind überschreiben mit: "Eine Akte ist nicht archivwürdig, wenn:". Dies bietet bei Zutreffen der Kriterien keinen Spielraum für Abwägungen.
Logische Folge: Veto gegen das Schema
3. Logikfragen
3.1 Identische Kopien
Der Begriff "Akte" ist aus dem lat. "agere" abgeleitet; alleine deswegen kann ich es mir kaum vorstellen, dass identische Kopien ganzer Akten existieren, (marginale) Unterscheide, die aber dennoch gelegentlich bedeutsam sind, sind vorauszusetzen. Ein Beispiel für Fotokopien ganzer Akten können Beweisermittlungsunterlagen bei Prozessen sein. In derartigen Fällen würde ich natürlich auch Wert darauf legen, dass der Umfang durch Ausdünnung kopierter Teile reduziert wird. Verlässt man sich blind darauf, dass die Kopiervorlagen archiviert werden? Recherchiert man hinterher? Wieviel Aufwand steckt man hinein? Lässt man die Marginalien der Ermittler wie z.B. Unterstreichungen, Verweise etc., die aus anderem Entstehungszusammenhang kommen und die in den Kopiervorlagen nicht enthalten sein dürften, außen vor? Finde ich jedoch in einer Rundschreibenserie den Entwurf und mehrere Überdrucke des Stückes, so bewahre ich den Entwurf und den am besten erhaltenen Überdruck auf. (Ich verwahre mich aber zum wiederholten Male dagegen, dass der Erhaltungszustand einer Akte zum Bewertungskriterium erhoben wird.)
3.2 Materialsammlungen
Diese dienen eigentlich zur Entscheidungsfindung, werden häufig aber in der archivischen Bewertung vernichtet. Ist dann die Entscheidungsfindung noch nachvollziehbar? Hat es in der Kollegenschaft Versuche gegeben, eine Materialsammlung retrospektiv zusammenzustellen? Welcher Rechercheaufwand war erforderlich und wie war das Ergebnis?
3.3 Presseausschnittsammlungen
Das zu Materialsammlungen Gesagte gilt generell auch hier. Die konservatorische Problematik gilt aber, zumindest für Tageszeitungen, eigentlich doch bei allen Druckexemplaren, sei es dass sie als Ausschnitte in Akten gelangen oder vollständig in Bibliotheken oder beim Verlag verwaltet werden? Oder gibt es flächendeckend Verlage, die für die Archivierung der Produktion Kopien auf alterungsbeständigem Papier anfertigen?
3.4 Auswahl von Unterlagen
Natürlich täte man gut daran, bei einem "Sample" (das dürfte Barbara Limberg gemeint haben) "die Finger von denen zu lassen, die hohe Folgekosten verursachen". Es beißt sich aber die Katze in den Schwanz, denn ich lege zuerst fest, wie ich mein Sample ziehe (sei es nach Buchstaben, Endzahlen oder durch Statistikprogramm generierte Auswahl) und habe dann mein Ergebnis, das qua Definition archivwürdig (da gesampelt) ist. Oder soll dem Sampling eine Schleife "Prüfung des konservatorischen Zustandes" vorgeschaltet werden? Oder ersetze ich die gesampelten kostenverursachenden Stücke nach dem Sample durch andere (dann könnte ich mir den Aufwand des Samples sparen und eine willkürliche, dann aber nicht mehr repräsentative Auswahl treffen). Oder ist doch die illustrative Auswahl zur Dokumentation einer Zuständigkeit gemeint, bei der es nicht darauf ankommt?
Bewertung ist auch für mich eine abwägende Entscheidung. Ich weigere mich aber, Formalkriterien über inhaltliche Kriterien zu stellen. Wäre es nicht besser, die Lagerungsbedingungen des Schriftgutes zu verbessern und Druck auszuüben, dass die Massenkonservierung billiger wird?