Barbara Limberg: Replik zur Stellungnahme von Rudolf Kahlfeld (Bewertungskriterien für Sachakten)
Ad 1 und 2 ist meinerseits bereits alles gesagt.
Ad 3.1 Wenn jemand sich bestimmte Dinge nicht vorstellen kann, ist daraus nicht
der Schluss zu ziehen, dass es diese Dinge nicht gibt! Nicht jeder macht die
gleichen Erfahrungen.
Dass Sachakten innerhalb eines Bestandes identisch sind, kommt tatsächlich
regelmäßig vor. Besonders häufig ist das der Fall bei Gesetzesvorlagen, von
denen im Vorhinein eine Vielzahl von Überstücken angefertigt wurde.
Diejenigen, die nicht weitergegeben wurden, wurden allesamt zu den Akten
genommen. Dann gibt es auch den Fall, dass in ein Exemplar Verbesserungen durch
Hand eingefügt wurden, dass ein zweites Exemplar diese Verbesserungen in
getippter Form enthält - und dann gibt es noch die gedruckte Fassung.
Ein weiteres Beispiel für identische Unterlagen in verschiedenen Beständen:
Protokollserien (etwa Ministerpräsidentenkonferenzen), die an eine
Vielzahl von Ministerien nur nachrichtlich versandt werden und hier nur den
Eingangsstempel als Unterscheidungsmerkmal bekommen, aber natürlich nicht
bearbeitet werden. Denn eine Zuständigkeit ist nicht gegeben. Dieser
Eingangsstempel ist allerdings nicht so gewichtig, dass man eine Akte deshalb
aufbewahren müsste. - Man kassiert sie natürlich, schon deshalb, weil keine
Zuständigkeit gegeben ist! - Aber selbst dann, wenn man meinte, auf den
Nachweis, an welche Stellen die Protokolle versandt worden sind, nicht
verzichten zu können, begründet die Abweichung aufgrund ihrer Marginalität
keine Archivwürdigkeit, es würde der Hinweis auf dem Verteiler bzw. die
Abgabeliste vollauf genügen.
Es ist sehr einfach, diese Doppel festzustellen, denn sie sind regelmäßig in
der gleichen Abgabeportion enthalten, zumeist sogar nacheinander folgende Bände.
Bei den Protokollserien, die in einer Vielzahl von Beständen zu finden sind,
reicht es, über das Aktenzeichen in der Datenbank zu suchen. Mittels der
Angaben hier lässt sich innerhalb kürzester Zeit feststellen, ob die
Unterlagen tatsächlich vorliegen.
Ad 3.2 Ob einfache Materialsammlungen tatsächlich der Entscheidungsfindung
dienen, ist fraglich. Eine Bearbeitung, die über die Sammlung hinausgeht, ist
idR nicht erkenntlich. Und Sammlung bedeutet ja auch nicht zwingend, dass
gezielt zu einem Thema recherchiert wurde, sondern dass zu einem Thema abgelegt
wurde. Die Tatsache, dass jemand etwas hätte lesen können oder auch nicht
(denn wer weiß das schon?), besagt nichts. - Aber darauf kommt es hier auch
nicht an! Denn die Entscheidungsfindung selbst spiegelt sich am ehesten in den
Sachakten wider! Nur hier kann ich - ohne Spekulation - von einer wirklichen
Aussagekraft sprechen.
Ad 3.3 Die konservatorische Problematik stellt sich vor allem, weil
Presseausschnittssammlungen idR geklebt werden! Der Kleber stellt das Problem
dar. Mit nicht-alterungsbeständigem Papier hat das nur bedingt zu tun. Darüber
hinaus gilt hier das zu 3.2 Gesagte und ein ganz formaler Grund:
Presseerzeugnisse gehören zum Bibliotheksgut.
Warum soll man einfache Materialsammlungen "retrospektiv
zusammenstellen"? - Es wurde bewusst der Terminus "einfache
Materialsammlung" verwandt!
3.4 Mit Auswahl meinte ich keine Samplebildung, sondern schlicht Auswahl des
Exemplarischen.
Zum Schlusssatz: Es war mir nicht bewusst, dass ein Statement darüber abgegeben
wurde, welche Kriterien überwiegen: inhaltliche oder formale. Auch das Schema
von Max Plassmann tut das nicht. Flexibler erscheint das Schema m. E., wenn man
sich zusätzlich einen rückläufigen Pfeil vorstellt. Abwägung bedeutet meines
Erachtens auch gerade, dass man unvoreingenommen ist. Es kommt auf den
jeweiligen Fall an! Wenn keine Zuständigkeit gegeben ist, dann kassiere ich,
egal wie gewichtig mir der Inhalt erscheint. Mehr noch, den Inhalt brauche ich
gar nicht mehr zu prüfen! Ich überprüfe allenfalls, ob die federführende Überlieferung
tatsächlich vorhanden ist (das geht, wie gesagt, in Sekundenschnelle). Man
sollte m.E. jeden Fall und jedes Kriterium für sich betrachten und dann
entscheiden, welches oder welche den Ausschlag geben.